Der strenge Begleiter
Seit Tagen habe ich Erinnerungen an eine Geschichte aus meiner Schulzeit: Es ging um einen herrischen und undisziplinierten Mann, der sich einen Schäferhund kaufte. Diesen Schäferhund versuchte er zu erziehen. Jeden Morgen und Abend ging er zu bestimmten Zeiten mit ihm raus. Er brachte ihm bei, wann er zu gehen oder zu sitzen hätte. An manchen Tagen hatte der Mann keine Lust aufzustehen. Doch dann knuffte und jaulte der Hund so eindringlich, bis er endlich rausgeführt wurde. Nach einiger Zeit hatte der Mann sich an das regelmäßige Leben mit seinem Schäferhund gewöhnt. Er wurde ruhiger und ausgeglichener. Ganz allmählich kam er dahinter, daß nicht er den Hund erzog, sondern der Hund ihn.
Diese Geschichte zeigt mir deutlich, daß der Hund allein durch sein Dasein und durch sein Hundsein den Mann verändert hat. Der Hund hat nicht versucht, den Mann zu erziehen, er hat sich nur für seine natürlichen Bedürfnisse eingesetzt. Weil er auf die Bedürfnisse seines Hundes einging, hat sich der Mann geändert.
In Beziehungen, besonders in Lebensgemeinschaften und Liebesbeziehungen, lassen wir diesen Aspekt des automatischen Einflusses aufeinander meistens außer acht. Statt dessen sind wir damit beschäftigt, uns gegenseitig zu erziehen. Damit lösen wir Gefühle aus, die uns trennen anstatt uns zu verbinden.
Wir machen die Liebe davon abhängig, wie sehr wir den anderen erziehen können oder wie sehr wir uns von ihm erziehen lassen. Dabei vergessen wir, daß nicht einmal Eltern ihre Kinder so erziehen können, daß die Kinder so werden, wie die Eltern sich das wünschen. Kinder sind Persönlichkeiten und müssen ihre ureigenen Wege finden.
Wieviel mehr ist der erwachsene Partner eine eigenständige Persönlichkeit mit dem Recht, sein Leben zu leben und seinen Bedürfnissen zu folgen! Wenn wir an ihm rumerziehen, sprechen wir ihm dieses Recht ab. Wir vermitteln ihm dann: Du bist nicht gut, so wie Du bist! Du mußt Dich ändern, um richtig zu sein!
Das ist genau das, was wir als Kinder zu oft erlebt haben und schon damals haben wir es gehaßt, daß andere wissen wollten, was für uns gut ist, daß unsere Bedürfnisse und Gefühle keine Rolle spielten und nicht ernst genommen wurden! Es scheint unsere unbewußte Reaktion zu sein, daß wir es jetzt selbst genau so machen mit den Menschen, die wir vorgeben zu lieben. Und wir lösen beim anderen eben die Gefühle aus, die wir damals selbst erlebt haben.
Aus diesem ungesunden und unglücklich machenden Kreislauf sollten wir ausbrechen. Wir sollten aufhören damit, andere zu erziehen, aufhören unzufrieden mit uns selbst zu sein, und statt dessen wieder ein Gespür für unsere natürlichen Bedürfnisse entwickeln.
Ich wünsche mir, daß wir selbstverständlich - wie der Hund - unseren natürlichen Bedürfnissen Ausdruck verleihen können, daß wir einfach wir selbst sind, gerade bei den Menschen, die wir lieben! Ich vertraue darauf, daß wir uns ganz von selbst gegenseitig beeinflussen und beide dabei gewinnen.